EX-IN ist die englische Abkürzung für „Experienced Involvement“ – Experte aus Erfahrung. Dahinter steckt die Idee, dass Psychiatrie-Erfahrene zu bezahlten Fachkräften im psychiatrischen System als > EX-IN Genesungsbegleiter ausgebildet werden. Die beruflichen > Einsatzmöglichkeiten von EX-IN Genesungsbegleitern sind vielfältig, z. B. arbeiten sie in stationären, teilstationären und ambulanten Tätigkeitsfeldern.

Zertifizierte EX-IN Fachkräfte wirken außerdem im Bereich der Aus- und Weiterbildung, unter anderem um psychiatrischen Fachkräften, > Empowerment– und > Recovery-fördernde und > trialogische Sichtweisen zu vermitteln, die den ganzen Menschen erfassen.

Wie ist EX-IN entstanden?

Das Konzept für das > Curriculum zur Qualifizierung von Psychiatrie-Erfahrenen ist von norwegischen, schwedischen, niederländischen, englischen, slowenischen und deutschen Partnern im Rahmen des europäischen Leonardo da Vinci Pilotprojektes EX-IN 2005 – 2007 entwickelt worden. Es spiegelt die Zusammenarbeit von Psychiatrie-Erfahrenen und psychiatrischen Fachkräften, Forschern und Lehrkräften wider. In allen teilnehmenden Ländern wurden Verbände von Psychiatrie-Erfahrenen, Einrichtungen und psychiatrische Dienste in den Diskussionsprozess und die Erprobung des Curriculums einbezogen. Die Ergebnisse des Projektes sind auch ein Resultat ihrer Beteiligung. Die Durchführung von drei nationalen Tagungen, eine in Birmingham, eine in Maastricht und eine in Bremen, war ebenfalls von großer Bedeutung.

Was ist die Philosophie von EX-IN?

Jeder Mensch ist einzigartig. Das zeigt sich auch darin, wie sich seelische Erschütterungen äußern, wie sie erlebt werden und welche Wege zur Genesung führen. Selbst wenn Menschen in seelischen Krisen nicht das Gleiche durchmachen, können sie sich in andere Betroffene einfühlen – sie kennen den emotionalen Schmerz, das Gefühl von Verlust und Hoffnungslosigkeit, aber auch den Prozess, wieder auf die Beine zu kommen, Hoffnung zu schöpfen und das Leben neu anzugehen. Die EX-IN-Philosophie beruht nicht auf medizinischen Behandlungsmodellen und psychiatrischer Diagnostik. Die Idee und die Prinzipien sind aus dem > Erfahrungswissen von > Peers entstanden. Die geteilten Erfahrungen ermöglichen ein empathisches, aktives Verstehen. Dieses löst nicht selten ein Gefühl von Verbundenheit und Vertrauen aus. Die wichtigsten Grundprinzipien der Genesungsbegleitung sind Respekt, die Hoffnung auf positive Veränderung, die Ermunterung zur Verantwortungsübernahme sowie eine andauernde gegenseitige Verständigung darüber, was hilfreich ist. Vorgefasste Bilder gilt es möglichst zu vermeiden. Vielmehr ist im Dialog immer wieder neu zu erarbeiten, was in der aktuellen Situation als unterstützend empfunden wird. Der EX-IN-Ansatz lässt eine Kultur der Möglichkeiten entstehen, in der ungewöhnliches Verhalten als Lebensäußerung betrachtet und nicht in Kategorien von Krankheit und Symptomen gedacht wird. Die Vorstellung über seelische Erschütterungen ist zu erweitern und die jeweilige Person in ihrem So-Sein anzunehmen. Viele Psychiatrie-Erfahrene sehen in ihren seelischen Erschütterungen einen Sinn. Den Sinn, achtsam mit sich umzugehen, zu lernen, nicht zu viel in sich hineinzufressen, mehr auf seine Grenzen zu achten, seiner Kreativität freien Raum zu lassen und vieles mehr. Das Gefühl, wirklich in Kontakt zu sein, über geteilte Erfahrungen zu sprechen, Zuversicht zu spüren und auf Besserung zu hoffen, kann nicht in einer Atmosphäre von professioneller Distanz entstehen, sondern erfordert Begegnung und Selbstoffenbarung.

Der Grundgedanke von Genesung beruht auf dem > Recovery-Ansatz, der seinen Ursprung in den USA, in Australien und Großbritannien hat und von Psychiatrie-Erfahrenen entwickelt wurde. Genesung meint nicht notwendigerweise Heilung. Der Recovery-Ansatz beschränkt sich nicht darauf, die Erkrankung zu bekämpfen, sondern soll zu mehr Lebenszufriedenheit führen. Die Reduzierung oder vollständige Rückbildung unerwünschter Symptome kann ein wichtiges Ziel sein, betrifft aber nur einen Aspekt. Genesung schließt Beziehungen, soziale Eingebundenheit und allgemeines Wohlbefinden mit ein. Der Zugang zu
> Ressourcen und > Erfahrungswissen ebenso wie die Idee des > Empowerments sind wichtige Schlüssel im Recovery-Prozess, die von niemandem besser vermittelt werden können als von Menschen, die schon einmal »in den gleichen Schuhen« gelaufen sind. Jeder Mensch sucht einen Weg zu mehr Genesung, möchte gesund sein und sich wohlfühlen. Ein Kerngedanke von EX-IN ist es, dass wir alle im Grunde wissen, was hilfreich ist. Genesungsbegleitung will dabei unterstützen, dieses innere Wissen zu entdecken und die Selbstverantwortung zu stärken. Die Begleitung orientiert sich an den Anliegen und Lebenszielen der Klienten. Hoffnung ist eine wichtige Grundlage dafür, dass sich Menschen weiterentwickeln. In den > Peer-Angeboten geht es daher immer darum, Hoffnung zu wecken und zu stärken oder manchmal auch stellvertretend Hoffnung zu haben. Experten aus Erfahrung sind ein lebendiges Beispiel für Genesung.

(Quelle: Utschakowski, J. (2015): Mit Peers arbeiten. Leitfaden für die Beschäftigung von Experten aus Erfahrung. Downloadmaterial, S. 16, Psychiatrie Verlag.)