In diesem Interview erzählt Peter Brückner, Leiter des Wohnverbundes des Erthal Sozialwerks, von seinen Erfahrungen mit Genesungsbegleitung.


TriN: Herr Brückner, welchen Mehrwert haben Arbeitgeber von Genesungsbegleitern?
Peter Brückner: Genesungsbegleiter haben eine Symbolwirkung für Mitarbeitende und Klienten. Sie zeigen, dass aus der Erkrankung etwas Positives gezogen werden kann. Zudem hat sich durch unsere Genesungsbegleiter unser Angebot vergrößert und dadurch haben die Nutzer des Ambulant begleiteten Wohnens mehr Anreize, das Haus mal zu verlassen. Auch die Blickwinkel auf Personen, die nur geringe Fortschritte machen haben sich verändert. Eine Genesungsbegleiterin hat mal zu uns gesagt: „Das wichtigste ist, dass ihr die Hoffnung auf Genesung nicht verliert“. Solche Aussagen verändern unsere Sichtweisen und Haltungen gegenüber den Klienten.

TriN: Wie sind Sie auf das Thema Genesungsbegleitung aufmerksam geworden?
P. B.: Eine Kursteilnehmerin aus München hat sich bei uns für ein Praktikum in der therapeutischen Wohngemeinschaft beworben und dieses auch dann bei uns durchgeführt. Durch die Zusammenarbeit haben wir sehr viel gelernt und neue Blickwinkel erhalten. Im Anschluss habe ich mich ausführlich mit dem Feld Genesungsbegleitung befasst und darüber informiert.

TriN: Wie kam es, dass Sie zum ersten Mal eine Genesungsbegleiterin anstellten?
P.B.: Durch das Praktikum der Genesungsbegleiterin aus München ergaben sich erste Überlegungen Genesungsbegleiter im betreuten Wohnen einzustellen. Vorab mussten wir die Frage der Finanzierung klären. Danach nutzten wir schon vorhandene Bewerbungen, um die ersten Genesungsbegleiter anzustellen. Zudem gibt es die Möglichkeit für Betroffene als Bürgerhelfer zu unterstützen und so ehrenamtlich zu helfen.

TriN: Wie wurde Ihr Team in den Entscheidungsprozess einbezogen?
P.B.: Die Einstellung von Genesungsbegleiter war immer wieder Thema im Team. Das Team war so immer in den Prozess integriert und auch daran beteiligt. Ich habe das Team dabei sehr offen und neugierig erlebt, aber auch etwas unsicher im Blick auf das kommende Unbekannte.

TriN: Gab es vorab Befürchtungen und Ängste?
P.B.: Eine beratende Ärztin meinte vorab, dass Genesungsbegleitung ein gutes Konzept ist, gab jedoch zu bedenken, dass Teamsitzungen für die Mitarbeiter wichtig für die Psychohygiene sind und dass es schwieriger sei auch über Klienten mal Dampf abzulassen, wenn jemand im Team dabeisitzt, der sehr mit den Klienten identifiziert ist. Zudem gab es vorab Überlegungen, ob die Genesungsbegleiter den Aufgaben gewachsen sind. Darüber hinaus gab es Fragen von beratenden Ärzten, wie es um die Schweigepflicht der Genesungsbegleiter bestellt ist.

TriN: Was können Sie anderen Arbeitgebern zum Umgang mit Arbeitsausfällen durch Krankheit raten?
P.B.: Grundsätzlich gilt für mich: „Wenn jemand krank ist, ist er krank!“ Dann ist ein Mitarbeiter krank und fällt aus, unabhängig von seinem beruflichen Hintergrund. Teilweise hatten unsere Genesungbegleiter auch die Überlegung, dass von ihnen erwartet wird, dass sie nicht länger krank sein dürfen. Da war es sehr wichtig, ihnen deutlich zu machen, dass auch sie krank sein dürfen, und wenn es so ist, auch mal länger krank sein können.

TriN: Welche neuen Herausforderungen gab es?
P.B.: Zu Beginn ist uns eine „Panne“ passiert: Wir haben ein Sonderteam für Genesungsbegleiter gemacht, um ihnen den Austausch untereinander zu erleichtern. Dadurch konnte die übliche Anbindung an die jeweiligen Kleinteams, in denen die Mitarbeiter organisiert sind, leider erst gar nicht entstehen. So ist eine negative Dynamik entstanden. Am Ende des Jahres haben wir das Sonderteam aufgelöst und die Genesungsbegleiter zu zweit in ihre jeweiligen Kleinteams angebunden. Zudem werden sie nach wie vor von der zuständigen Sozialpädagogin aus dem bisherigen Sonderteam begleitet. Wichtig ist, dass die Genesungsbegleiter als Kollegen und nicht als Klienten gesehen werden. Wir haben auch erlebt, dass gerade zu Beginn die Genesungsbegleiter sehr motiviert sind und ein hohes Engagement zeigen. Dabei besteht die Gefahr der eigenen Überforderung. Auch das Gleichgewicht aus Nähe und Distanz ist nicht immer einfach, bedingt durch die eigene Geschichte und der Distanz gegenüber den Klienten, damit es zu keiner Verallgemeinerung kommt. Eine immer noch sehr große Herausforderung ist, dass Genesungsbegleiter in der bislang von uns gefundenen Finanzierungsform aufgrund der Vorgaben des Kostenträgers nur 7020€ im Jahr verdienen dürfen. Dadurch ist oftmals nur eine geringe Stundenanzahl möglich.

TriN: Welche Aufgaben übernehmen die Genesungsbegleiter?
P.B.: Die Genesungsbegleiter leiten verschiedene Gruppen und Angebote. Beispiele dafür sind die Frühstücksgruppe, die Wochenausklangsgruppe oder die Klangmeditation. Zudem nehmen sie an Teamsitzungen teil, soweit das mit den Stunden möglich ist.

TriN: Wie kam es zur Auswahl dieser Tätigkeiten?
P.B.: Bei den Bewerbungsgesprächen wird gemeinsam geschaut, was die Genesungsbegleiter einbringen möchten und was sie selbst bewegt. Dabei ist es uns wichtig, bewusst keine Vorgaben zu machen, um die Möglichkeiten für neue Ideen zu schaffen. Bei der Frühstücksgruppe beispielsweise erzählte die Genesungsbegleiterin, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass es sehr schwer sein kann aus dem Bett zu kommen, ohne einen konkreten Anlass. Solche Ideen sind super und aus diesen werden dann gemeinschaftlich neue Angebote entwickelt.

TriN: Stellen Sie Veränderungen im Arbeitsalltag und im Team?
P.B.: Die Diskussionen im Team sind grundsätzlicher geworden. Es wird vieles neu hinterfragt und betrachtet. Dies ist einerseits gewinnbringend und perspektivenerweiternd, andererseits hält es auch länger auf und nimm manchmal Platz für andere Themen. Zudem ist eine Veränderung in der Sprache wahrnehmbar. Formulierungen und Ausdrucksweisen werden sorgsamer und anders gewählt.

TriN: Gibt es Punkte, bei denen die Genesungsbegleiter entlastet werden sollten?
P.B.: Auf alle Fälle vor der Sorge: Werde ich es schaffen? Genesungsbegleiter sind Arbeitnehmer wie alle anderen. Daher haben auch sie eine sechsmonatige Probezeit, in der beide Seiten schauen können, ob es passt. Und danach ist es auch nicht schlimm, wenn es nicht das richtige Setting ist und ein anderes Setting besser passt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Gedanke: Ich darf nie wieder krank sein. Der Blick auf Krankheit und der Umgang damit sollte genauso sein wie bei jedem anderen Mitarbeiter auch. Der mögliche Druck, der dort schnell entstehen kann, sollte von Beginn an möglichst rausgenommen werden.

TriN: Welche Kriterien sind bei der Wahl eines geeigneten Genesungsbegleiters wichtig?
P.B.: Die Person sollte gewisse Basiskompetenzen mitbringen. Dazu zählen Fähigkeiten wie grundlegende kommunikative Fähigkeiten, Wahrnehmungsfähigkeiten für soziale Situationen (was ist angemessen / nicht angemessen), Reflexionsfähigkeit, eine gewisse Stabilität, soziale Kompetenzen, Selbstbewusstsein sowie eine Offenheit für andere Sichtweisen. Es ist bei der Anstellung zudem wichtig, dass die Genesungsbegleiter als Kollegen gesehen werden. Die Stellen öffentlich auszuschreiben, hat dabei eine Symbolwirkung, die für den Stellenwert der Arbeit wichtig ist.

TriN: Welche Voraussetzungen braucht es, ihrer Erfahrung nach, für eine gelungene Anstellung?
P.B.: Es sollte im Team ein Standard für Mitbeteiligung vorhanden sein. Zudem sollte die Selbstbestimmung von Beteiligten ein wichtiges Element sein, damit die Idee der Genesungsbegleitung einen Boden bekommen kann. Ganz wichtig ist die Haltung: Es muss ein Mitspracherecht von Klienten geben. Wenn diese Haltung im Team noch nicht erreicht ist, macht es keinen Sinn einen Genesungsbegleiter einzustellen, da es sonst zu viel von einem Genesungsbegleiter erwartet wäre, diese Haltung alleine zu ändern. Vorab sollte die Einrichtung daher regelmäßigen Kontakt zu anderen Genesungsbegleitern aufbauen und andere Erfahrungen mitbekommen. Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die Bereitschaft, sich entstehenden Schwierigkeiten zu stellen und diese anzugehen.
Der Genesungsbegleiter sollte neben den obengenannten Basiskompetenzen auch eine Offenheit mitbringen, um ehrlich das richtige Setting finden zu können. Vorab sollten auch die Rahmenbedingungen besprochen werden, wie beispielsweise das Verhalten im Krankheitsfall, um so möglichen Befürchtungen entgegenzuwirken. Auch die Klarheit über die Ansprechpartner und die Strukturen sollte gegeben sein, um Unklarheiten und Lücken zu vermeiden. Wünschenswert wäre eine gewisse Identifikation der Genesungsbegleiter mit dem Arbeitgeber. Es wäre schön, wenn sie sich nicht mehr vorrangig als Genesungsbegleiter sehen, sondern als Mitarbeiter des Arbeitgebers.